schicht für schicht
gesichter der voest
Fotografie: Joerg Burger
Herausgeber: Johannes Holzhausen
Grafische Gestaltung: Armin Guerino
Herausgegeben im Auftrag des Angestelltenbetriebsrates der voestalpine Stahl GmbH
192 Seiten, 151 Farb- und Schwarzweißabbildungen, 30 x 25 cm, Hardcover
Triton Verlag, Wien 2003
ISBN 3-85486-162-1
PRÄSENTATIONEN:
Montag, 23. Juni 2003, 10:30 bis 13:00 Uhr im Gästehaus der voestalpine Stahl Linz
Freitag, 27. Juni 2003, 18.00 Uhr, Technisches Museum Wien

Im August 2002 gingen der Fotokünstler Joerg Burger und der Filmemacher Johannes Holzhausen im Auftrag des Angestelltenbetriebsrates der voestalpine Stahl GmbH durch das Betriebsgelände der Voest in Linz und hielten die Menschen, Situationen und Orte fest, denen sie begegneten. So ist ein Bild- und Textband über die Arbeitswelt der Voest in Linz entstanden, mit überraschenden und neuen Blicken auf die Menschen, die in diesem Betrieb arbeiten.
Die Voest hat viele Gesichter. Sie ist nicht nur das größte Stahlwerk Österreichs, die Geschichte des Werkes ist eng mit der Zeit des "Anschlusses" und der Geschichte Österreichs nach 1945 verbunden. Gegründet als "Reichswerke Hermann Göring" wird der Betrieb 1946 von den Amerikanern der Republik übergeben. Die Voest wird bald, unter anderem durch die Erfindung des LD-Verfahrens, zum Paradeunternehmen der verstaatlichten Industrie. Nach schweren Verlusten 1985 wird das Unternehmen neu strukturiert und entwickelt sich in den neunziger Jahren zu einem modernen Verarbeitungskonzern von hochwertigen Stahlerzeugnissen. Die Voest ist aber auch aufgrund ihrer Geschichte ein Betrieb mit starkem gewerkschaftlichen Selbstbewusstsein und sozialer Verantwortung. Die 10.000 Menschen, die zur Zeit am Standort Linz beschäftigt sind, stehen stellvertretend für den gesamten Industriebereich Österreichs und Europas.
Das komplexe und vielfältige Leben auf dem Betriebsgelände der Voest ist Inhalt des Buches "schicht für schicht". Das kann zum Beispiel ein ukrainischer Schiffskapitän sein; im Zentrum des Buches stehen aber jene Beschäftigten, die Schichtarbeit leisten. In den bestechend ausdrucksstarken Schwarzweiß- und Farbfotos sind Porträts einzelner ArbeiterInnen atmosphärisch dichten, beinahe abstrakten Bildern des Betriebes gegenübergestellt. Zerfurchte, vom Leben und der Arbeit geprägte Gesichter begegnen hier etwa weiten halbdunklen Kohlehalden oder scheinbar endlosen Hallen, in denen es glüht und dampft. Die Gesichter in dem Buch – ArbeitnehmerInnen die bis aus einer Entfernung von 200 km täglich anreisen – haben auch eine Stimme. Sie erzählen in den Texten von ihrer unmittelbaren Erfahrung am Arbeitsplatz, von ihrer Beziehung zur Arbeit und zu ihrem Werk. So treten die Menschen aus der Anonymität heraus
und werden in das soziale Spannungsfeld von Arbeit und Freizeit, von Wünschen und realen Anforderungen eingebunden.
Gerade in seiner Beharrung auf der Erfahrung des Individuums im immer schneller werdenden Automatisierungsprozess liegt die Bedeutung von "schicht für schicht": Exemplarisch am Voest-Schichtarbeiter wird der Wandel der Arbeitswelt sichtbar. War bis in die achtziger Jahre die kollektive Erfahrung und das solidarische Prinzip prägend, so ist heute mehr und mehr der vom Rest des Betriebes und der KollegInnen abgeschottete Arbeitsplatz mit seiner Einzelverantwortung typisch. Dieser Wandel ist auch in der Geographie des Ortes spürbar. Ist zu Beginn des Buches im Bereich der Grundstoffindustrie die Teamarbeit bestimmend, so wird mit fortschreitender Verarbeitung, parallel mit dem Fortlaufen des Buches, der vereinzelte Arbeitsplatz dominant.
"Daheim spreche ich nie von der Arbeit", sagt einer. In "schicht für schicht" erzählen sie es.

Es ist immer wieder schwierig, wenn du wo hingehst, wo du niemanden kennst. Wenn du in eine neue Meisterei kommst und du sollst in der Früh zwanzig Haberer grüßen und jedem die Hand geben und irgendwie lacht einer deppert … Das ist, glaube ich, das Ungute. Jeder glaubt wahrscheinlich, dass man es als Frau leicht hat, dass man es geschenkt bekommt, dabei ist es schwieriger. Jeder meint, weil du eine Frau bist, geht es dir eh schon so gut, jetzt muss er dir ein wenig auf deppert kommen. Wenn dir am Tag fünf von der Sorte unterkommen, dann nervt das irgendwie.
Brigitte Kranzler, 31, Graveurin, seit 1986 in der Voest

Ich kann nicht viel schlafen, drei Stunden, vier Stunden. Wenn ich um halb neun, neun ins Bett gehe, bin ich um zwölf, eins munter. Dann liegst du halt im Bett und wartest, bis der Wecker geht. Man ist saumüde, wenn man aufsteht, weil der Körper durch das Schichteln ein wenig durcheinander gebracht ist. Gesundheitsmäßig fühle ich mich nicht wohl. Ich habe schon zweimal einen Gehörsturz gehabt und habe laufend Ohrensausen, das bringe ich nicht mehr weg.
Johann Nowak, 56, Räumwagenfahrer, seit 1968 in der Voest

Daheim rede ich nicht von der Arbeit. Nein. Darüber rede ich mit der Familie überhaupt nicht. "Heute war es schwer, heute ist das oder jenes passiert …" Gar nichts. Da sage ich nicht, was drinnen passiert ist oder was sonst noch geschehen ist. Da kommt kein einziges Wort auf den Tisch. Nein. Weder mit der Frau, geschweige denn mit dem Buben. Nichts. Gar nichts.
Franz Raab, 51, Türenabheber, von 1973 bis 1977 und seit 1980 wieder in der Voest

Wo möchtest du die Donau lieber sehen? In Wien, in Linz oder an der Quelle, dort, wo sie entspringt? Im Walzwerk kannst du Eisen sehen, im Stahlwerk rinnt es auch, aber am Hochofen, dort kommt es zum ersten Mal heraus. Dort wird Erz zum Rinnen gebracht, dort ist der Anfang! Dafür arbeiten tausende Menschen. Alles nur, damit aus einem 4,5-Zentimeter-Loch etwas Silbriges plätschert. Deshalb ist für mich das Abstichloch auch wie ein Tabernakel. Der Ofenabstich ist nicht ohne Grund wie eine Kapelle in einem Bergwerk, in derselben runden Form gebaut.
Werner Haidinger, 42, Wassermann, seit 1979 in der Voest

Damals, in den fünfziger und sechziger Jahren, sind viele Leute gebraucht worden, alles war arbeitsintensiv. Im Nonstop-Kino gab es zwischen den Wochenschauen Einblendungen: "Voest sucht Arbeiter für Schichtbetrieb." Der Schichtdienst hat dann so ausgesehen: Eine Woche Früh, eine Woche Mittag, eine Woche Nacht und dann haben die alten Voestler bei der Mittagsschicht einen Sechzehner gehabt. Das Ärgste ist aber der sogenannte schlechte Sechzehner gewesen, der ist von der Nachtschicht um zehn Uhr bis um vierzehn Uhr am nächsten Tag gegangen. Das war katastrophal, der Vormittag war für die Leute ein Horror. Die hat man nicht anreden dürfen, die waren aggressiv, eh klar.
Horst Richter, 60, Chemielaborant, seit 1957 in der Voest

Pfannenfeuer · Gießhalle, Stahlwerk