GESPRÄCH ÜBER DAS SCHWEIGEN
Über Arbeiten von Armin Guerino
Eine bildbezogene Annäherung
von Gabriele Ruff
Mit einem neuen Bilderzyklus unter dem Titel "Gespräch über das Schweigen" war der Künstler Armin Guerino im Frühjahr und Sommer dieses Jahres in der Öffentlichkeit vertreten.1
Nähert man sich den Bildern dieser Serie, sucht man einen Dialog mit dem Schweigen, so ermöglichen die verschiedenen dem Schweigen verliehenen "Physiognomien" Zugang zur Bildthematik. Das "Gespräch über das Schweigen" beinhaltet eine Form der Sprachlosigkeit, deren Ursachen und Vorbedingungen zu hinterfragen man gedrängt wird. Die Beredsamkeit, deren Werkzeug für Kommunikation nicht unbedingt die gesprochene Sprache oder die Narration zu sein hat, bedient sich zusätzlicher Ausdrucksmittel. Zu einem grundlegenden Aspekt der Bildzyklenthematik gehört die Ausformulierung des Zeitraumes nach einer abgeschlossenen Handlung. Im sogenannten "Danach", das in den Bildern meist zu Isolation, Einsamkeit, oder sogar zum Tode führt, löst sich jegliche Ortsgebundenheit; das Zeitgefühl verliert an Augenblicklichkeit und der Zustand der Dauer setzt ein.
Das Bild "Völkerverständigungsmaschine 20. Jh." ist in seiner Umsetzung eine Reflexion auf ein Foto der Kriegsberichterstattung des Tschetschenienkrieges, das medial verbreitet wurde. Für den Betrachter, dem die Annehmlichkeit zukommt an einem unbetroffenen Standort zu sein, wirkt das Definitive der Darstellung und dessen Unwiderruflichkeit bedrückend und fordert ein "Nach-Denken". Der "Tod im Bild" nähert sich einem, in die Malerei umgesetzten Standbild des Todes, das jedem der zahlreichen Kriegsschauplätze zuordenbar wäre. Der Mensch, der im Leben konkret und einem sozialen Umfeld zugehörig ist, wird durch diesen Tod identitätslos und abstrakt und verkörpert zugleich das Kollektiv der namenlosen Toten.
Während die vorhergehende Thematik deutlichen Gegenwartsbezug herstellt und das oftmals verdrängte Zeitgeschehen verdeutlicht, ist das "Salomebild" in der Erzählung der Historie verankert. Auch hier liegt die Beschäftigung nicht im Aufzeigen von aktivem Geschehen, bezugnehmend zu den narrativen Bildabfolgen, sondern im Festhalten der Befindlichkeit nach der ausgeführten Handlung. Eine räumliche Trennung unterstützt die unterschiedliche "Existenzzuständigkeit". Das Danach wird für die Ewigkeit präpariert, dingfest gemacht. Der Kopf, dargebracht in einer Art Vitrine, wird zum Ausstellungsstück, wird zum Objekt des eigenen Todes und seiner individuellen Todbringung.
Der inneren Befindlichkeit, der psychischen Konstitution von Salome, wird anhand ihrer Körperlichkeit und der wenig vorhandenen Individualisierung, das sich im Fehlen der Haartracht, in der Geschlechtslosigkeit, in dem tiefen körperlichen Einschnitt und der kauernden Haltung zeigt, Ausdruck verliehen.
Auch im Bild "Das Versprechen" erzeugt der Künstler, mit den Mitteln der Aushöhlung psychische Betroffenheit. Der Bildaufbau zeigt zwei Farbfelder und zwei klar definierte Bildrichtungen, horizontal und vertikal, die im übertragenen Sinn der Kreuzform nahekommen. Die Menschen in den getrennten Feldern bezeichnen, wie im Salomebild, zwei unterschiedliche "Zustände", den der Lebenden und den der Leblosen. Den Zustand des Todes in seiner körperlichen Auflösung läßt bereits der Liegende sichtbar werden. Der Blick der weiblichen Figur wendet sich dem Toten zu und läßt den Betrachter erahnen, daß sie zu diesem, über die räumliche Trennung, eine kommunikative Beziehung unterhält. Die Tiefe der Verletzung, das Ausmaß des Geschehens, wird durch die Abstraktion des Räumlichen verstärkt. Keine äußeren Umstände ermöglichen Zuversicht. Die mentale Verbindung der beiden Menschen ist ein abgegebenes und ein vielleicht nie eingelöstes Versprechen. Es läßt sich erahnen, daß der Versuch ein
Versprechen einzuhalten, zu diesem letalen Ausgang geführt hat. Beim Gedanken an die beginnende Entmaterialisierung des Körpers gilt folgendes Zitat: "... Das Skelett, ein lebloser Automat im Körper, symbolisiert jenen internen Tod, um den herum sich das Fleisch und die Sehnen während der kurzen Zeit ihres organischen Lebens organisieren und an dessen Ende sie erneut das makellose Weiß des Skeletts freilegen."2
Wie bereits in früheren Arbeiten stellt die Beschäftigung mit der ägyptischen Kunst und Kultur einen wichtigen Aspekt in der künstlerischen Tätigkeit von Armin Guerino dar. Immer wieder spürt man das "Eintauchen" und "Eindringen" in die Struktur der vergangenen Zeit und deren Formen, sowie die persönliche Auseinandersetzung mit Ägypten. Der "Schlüssel" zur Vergangenheit ist oftmals in den Prinzipien der Geometrie und der Proportionen, sowie in der Verdichtung von Bedeutungen und deren Abstraktion zu finden.
Das Bild "Tagschiff-Nachtschiff" läßt sich als Beispiel für die oben bereits angeführte Verdichtung von Bedeutungen heranziehen. Die beiden Formen – gelb und blau als Synonym für die "Himmelsbarken", verweisen auf die Reise des Sonnengottes über den Tages- und Nachthimmel in seiner Barke. Sie ist ein essentieller Bestandteil der bild- und symbolhaften Vorstellungskraft im religiösen Denken der alten Ägypter. Das Ziel der Reise durch die Unterwelt, beginnend am westlichen Abendhimmel, ist die Unversehrbarkeit, die Wiedergeburt und die Verjüngung der Toten, personifiziert durch den Sonnengott Re, der die Reise in Begleitung der Seelen der Verstorbenen durchführt. Aus dem gealterten Gott, der allabendlich nach Sonnenuntergang in die Unterwelt hinabsinkt, wird täglich eine verjüngte, kraft- und lebensvolle Gottheit. Diese zyklische Regeneration bedeutet auch, daß Leben und Tod einen ununterbrochenen Kreislauf bilden. Überlieferte Zeugnisse, wie das unmittelbar neben der Großen Pyramide
des Cheops in Gizeh aufgefundene "Sonnenboot", bestätigen diese religiöse Vorstellung.
Die Geburt, das Leben und der Tod werden zu immer wiederkehrenden Bereichen der Beschäftigung, wobei die Geburtsthematik noch einen Schritt weiter "zurück" geht, zum Ursprung, zum Ursprung der Menschheitsgeschichte, der "Urzeugung" und der "Ursuppe", letzteres wurde vor allem in der Aufführung "Schafscheren"3 aufgegriffen.
An den biologischen Prozeß der zellularen Vervielfältigung läßt das Bild "Blutfeldzentrum" denken. Eine Form, vielleicht als ein "Kürzel" für ein Musikinstrument anzusehen, gegengleich in die einer größeren eingefügt, erinnert in ihrer Verdoppelung an den genetischen Reproduktionsprozeß und somit an den ewigen Kreislauf von Leben und Tod.
Während in den früheren Werken, in der Auseinandersetzung mit der ägyptischen Kunst, oftmals die Rezeption von Religion und Philosophie vorherrscht, tritt in den neueren Arbeiten die Beschäftigung mit einer konkreten Topographie hinzu. Ein wichtiger Aspekt in diesen Arbeiten ist die Ausformulierung von Erinnerung – die Erinnerung, die in der Gegenwart lebt und ihre Bedeutungen aus der Vergangenheit bezieht.
So steht der Bildtitel "Amarna" gleichzeitig für eine geographische Örtlichkeit und eine für diese Zeit typische Kunstentwicklung. Die geographische Zuordnung verweist auf die, für die Dauer seiner Regierungjahre, bestehende Residenzstadt von König Echnaton, der er den Namen "Horizont der Sonnenscheibe" (Achet-Aton) gab, während die zeitgenössische Bezeichnung "Tell el-Amarna" oder kurz "Amarna" lautet. Die typische Kunstausformung, die nur für diese Zeit Gültigkeit besitzt, wird mit Amarnastil bezeichnet.
Die Topographie wird durch einen blauen Streifen, der als Umschreibung des Nils gedeutet werden kann, angegeben. In dieser abstrahierten Örtlichkeit erscheint ein gerahmtes Bild, aus dessen dunklem Hintergrund ein Frauenbildnis hervortritt. Die äußeren Merkmale des Kopfes verweisen auf die Bildnisse der königlichen Familie, die man in den Bildhauerwerkstätten von Amarna gefunden hat. Die ungewöhnliche Kopfform, die sich im Frauenbildnis darlegt, ist zeitspezifisch in der ägyptischen Kunst und beschränkt sich ausschließlich auf die Amarnazeit.
Die momentane Präsenz des "Fensters" in der Landschaft wird durch eine zusätzliche transitorische Erscheinung in Form eines Frauenbildnisses, die sich als eine Art "Wiederkehr" interpretieren läßt, erweitert. Der vermeintlich entstandene Schatten, ist kein realer Schatten, sondern definiert sich als ein Feld, das durchaus mit dem "realen" Ort verbunden ist. Es läßt eine innewohnende Negativform erkennen, deren Abbild entrissen wurde. Das Wiedererscheinen der Büste deutet darauf hin, daß mit dem entschwundenen Abbild eine Kommunikation besteht und sie über die Zeit hinweg mit diesem Landstrich verbunden ist. Sowohl ihre Gegenwart als auch die Erinnerung an sie wird mit dem Ort verhaftet bleiben. Die Negativform, die einen Dialog mit dem Unsichtbaren eingeht, wird zu einem Synonym für Abwesenheit und verstärkt die Erinnerung; sie wird zum Träger der Erinnerung.
Um den Bogen der künstlerischen Auseinandersetzung mit der ägyptischen Kunst zu schließen, muß noch ein weiterer bildformaler Wesenszug aufgegriffen werden. Die Totenkapelle von St. Michael ob der Gurk4, deren Architektur auf einem Kubus mit pyramidalem Dach basiert und deren Winkel denjenigen der Großen Pyramide von Gizeh entsprechen, setzt in der malerischen Ausstattung der Kapelle, biblische Aussagen in "hieroglyphische" Schriftzeichen um. In anderen Beispielen verselbständigen sich transformierte Hieroglyphen, wie das Zeichen der Wasserlinie, zu kleinen Bildfeldern, die als "Markenzeichen" für das Leben zu deuten sind. Ebenso wird in den Fresken der Kapelle die Planung und Anordnung des Bildaufbaus der reliefierten ägyptischen Grabwände präsent. Der ägyptische Künstler hatte sich an eine Registereinteilung und an einen Proportionskanon zu halten. In Anlehnung an die ägyptische Kunst werden die verschiedenen Inhalte der Malerei, innerhalb eines bildimmanenten Ganzen, durch Felder geteilt.
Während in den Fresken von St. Michael die Registereinteilung einer ägyptischen Totenkapelle noch starken Einfluß auf die Unterteilung der Bildabfolgen ausübt, bleibt in den jüngeren Arbeiten der Gedanke zur Systematisierung noch durchaus bestehen, obschon das streng geometrische Ordnungsprinzip nicht mehr diese Wichtigkeit aufweist, wie das Beispiel "Die Protagonisten" deutlich zeigt. Die Anlehnung bleibt aber aufgrund der Strukturverwandtschaft aufrecht.
Wenn in den Bildern von Armin Guerino topographische Anhaltspunkte aufgegriffen werden, weisen sie auf einen historischen oder ganz persönlichen Bezug hin. Bis auf wenige Ausnahmen wird auf räumliche und zeitliche Angaben verzichtet. Die Figuren sind selten orts- oder gesellschaftsgebunden.
"Das schöne Zimmer" definiert sich als Raum, der im Begriff ist, sich selbst auszulöschen und der anwesenden Figur jeglichen lebensbedingenden Existenzbereich zu entziehen. Zwei architektonische Blöcke rücken einander näher, würden demnächst aneinanderstoßen, wäre da nicht der Mensch, ein Torso, der dem Geschehen Einhalt zu gebieten sucht. Der Raum vermittelt den Eindruck eines Entfremdungsprozesses, der sich des Menschen schleichend bemächtigt, ihm seines sozialen Umfeldes und seiner sozialen Kontakte beraubt, wogegen er sich zu erwehren versucht. Betrachtet man die Farbgebung, so verwandelt sich der menschliche Körper sukzessive zu einem architektonischen Objekt. Die im Bild aufgegriffene Thematik steht für das Absterben des Körpers, wenn ihm belebende Beziehungen zu anderen Menschen fehlen. Hierbei handelt es sich nicht um ein individuelles Problem, sondern um die krankhafte Tendenz der gesamten gesellschaftlichen Organisation des Lebens.5
In den jüngsten Arbeiten von Armin Guerino kommt es zu einer verstärkten Hinwendung zum Figuralen. Der Körper, in seiner reduzierten Form als Torso, kann als Synonym für eine Verletzung stehen. In der Serie der Kopfbilder wird nicht der portraithafte Charakter herausgearbeitet, vielmehr stellt sich eine Art Auseinandersetzung mit verschiedenen Formensprachen ein, um innerer Befindlichkeit ein Gesicht zu verleihen. Die wiederkehrende formale Behandlung in den Kopfbildern drückt ein Suchen nach einem "Prototypus" aus. In der Arbeit von Armin Guerino läßt sich bereits ein Vorläufer dieser Kopfserie festmachen: im Bild des "Anthropos" in den Fresken der Totenkapelle von St. Michael ob der Gurk.
1 In drei Austellungen, in der Mestna Galerija in Lubljana, in der Galerie Rosegg sowie in der Galerie Stift Eberndorf
2 Michel Tibon-Cornillot, Die transfigurativen Körper - Zur Verflechtung von Techniken und Mythen, in: Die Wiederkehr des Körpers, hrsg. von D. Kamper und Ch. Wulf, Frankfurt am Main, 1982, S. 157.
3 Vgl. Armin Guerino, in: Schafscheren, eine Aufführung anläßlich der Ausstellung "Zone der Vorbereitung", Österreichgalerie, Künstlerhaus Klagenfurt, 1989
4 Totenkapelle St. Michael ob der Gurk, 1991. Vgl. Karl Matthäus Woschitz, Torbilder zum Gottesacker, in: DIE BRÜCKE 1/1992, 18. Jahrgang, S. 44-49
5 Vgl. Rudolf zur Lippe, Am eigenen Leibe, in: Die Wiederkehr des Körpers, hrsg. von D. Kamper und Ch. Wulf, Frankfurt am Main, 1982, S. 25