TORBILDER ZUM GOTTESACKER
Gedanken zu den Freskenbildern von Armin GUERINO, gemalt im Friedhofstor von St. Michael ob der Gurk
Univ. Prof. Dr. Karl Matthäus Woschitz / Graz
Erste Impressionen
Die im Spätherbst 1991 vollendeten Fresken im Toreingang zum Friedhof in St. Michael ob der Gurk sind wie ein in Bilder umgesetztes Nachdenken über den Tod. Ein Blatt entfaltet sich, stirbt ab und wird vom Wind zur Erde geweht. Ein Mensch wird geboren, lebt und stirbt: "Erde zur Erde, Staub zu Staub!" Und doch ist es mehr, als bloße Natur: es ist das, was er sucht und findet, liebt und verfehlt, tut und erleidet, lacht und weint, glaubt und hofft...! "Thou owest me a death", Du bist mir einen Tod schuldig, heißt es in Shakespearschen Macbeth. Wir alle sind einen Tod schuldig. Diese Wahrheit eines "Rufzeichens", die das Menschenleben begleitet wie ein nicht weichen wollender Schatten, biegt sich zugleich in ein großes Fragezeichen um, ob dieses zeitliche Leben einen Wert in sich besitzt, ob es mit dem Tod abgeschlossen ist oder durch ihn radikal in Frage gestellt wird, ob die Zeit transzendiert werden kann und der Tod überwindbar ist, oder gar, ob das Leben erst durch den Tod seine ei gentliche Erfüllung
findet und sich im Glauben hinbezogen weiß auf "das Herz aller Dinge". Das Leben des Menschen, das nach einem asiatischen Bild vorüberflattert wie ein Schmetterling, wird zum eigentlichen Auslöser für die Frage nach dem Sinn des Lebens und der Welt, sub specie mortis, im Angesicht und Hin-blick des Todes. Solche Gedanken begleiten einen, wenn man die sinnierenden Schritte auf das St. Michaeler Friedhofstor mit seinem pyramidalen Dach lenkt und seiner kristallinen Form.
Ein halbiertes Gespräch
Im Tor angelangt, empfängt einen eine Bildersequenz, die uns das Drama des Werdens und Vergehens von innen her deutlich machen will. Armin GUERINO hatte sich durch einen längeren Ägyptenaufenthalt mit der Kunst jenes Landes auseinandergesetzt, die ihre ganze Kraft aufgewendet hat, sich dem Tod entgegenzustellen. Am "metaphysischen" Faden des Niltales, wo die Geschichte in den beiden Dimensionen von Raum und Zeit abrollt und das denkende Dasein sich gegen das Vergehen aufbäumt, wächst eine Verewigungskultur, die das zerbrechliche, hinfällige,zufällige und allfällige Leben des Menschen in der Unendlichkeit der Dauer zu bergen und dem Toten sein "Verklärtsein" sicherzustellen sucht. Eine solche Kunst ist nicht aus dem Wollen geboren, unsterbliche Kunst zu schaffen, sondern das Weiterleben ungestört und unvergänglich zu erhalten. Auf einer Alabasterschale aus dem Grabe Tutenchamuns ist zu lesen: "Möchtest du für die Ewigkeit trinken können, gewandt gen Theben, das du erwähltest...". Was der Tod und dessen
Sinn sei, war für die altägyptische Kultur die fundamentale Frage und fand ihre Antwort in dem "Du stirbst, damit du lebst". Leben könne nur aus dem Tode kommen. Für die Ägypter war es anschaubar an dem großen Symbol der Sonne, die allmorgentlich neu und verjüngt aus der Finsternis der Nacht heraustritt, ewiges Symbol des sich aus dem Tod heraus erneuernden Lebens. So galt ihnen auch der Tote als Saatkorn, das in einer anderen Welt zum Leben aufgeht. Dieses Daseinsverständnis findet in dem Diesseits und Jenseits eng aufeinander beziehenden Osiris-Mythos seinen tiefsten Ausdruck. Bei der "Öffnung des Herzens und des Gesichtes" im Totenritus, in jedem in die Erde fallenden Weizenkorn, pflanzt sich Osiris, sei es als irdische, sei es als kosmisch-universelle Lebenstätigkeit fort.
Schriftzeichenhafte Umsetzung
Wendet man sich den Bildern Armin GUERINOS zu, so fällt einem zunächst die aspekthafte Komposition der Bildteile auf, eine Addition "hieroglyphischer" Schriftzeichen, Symbole und Formen mit ihren verschieden großen Teilflächen, Blick- bzw. Schwerpunkten, kontrastiven Farbtönen. Der Künstler sucht die spannungsreiche Antinomie des Lebens und des Todes darin zu chiffrieren.
Auf der linken Wandseite kommt das Anfangsgeschehen der Menschheit in "Adam und Eva" in den Blick als tragische Geschichte der Entfremdung von Gott und voneinander. Mit dem Grenzbegriff der "Schlange", dem Symbol der Versuchung, wird jene rätselhafte Tatsache zur Darstellung gebracht, daß der Mensch in seiner Freiheitsgeschichte die Sündentat des Ungehorsams setzt und so die tragische Geschichte seiner Zwiespältigkeit betritt. Von diesem unergründbaren Ursprungspunkt des Bösen her ist das Ich des Menschen "gezeichnet", seine träumende Unschuld dahin. In HAUSMANNS "Wandteppich" wird gefragt: "Habe ich Gott vernommen oder mich selbst?" Gibt es ein Tor hinaus? An dieser Wand des "Unschuldig-Schuldigwerdens" kommen einen die großen Romane Franz KAFKAS in den Sinn, das "Schloß", der "Prozeß", aber auch Ingeborg BACHMANNS Erzählung "Alles" mit dem Scheitern einer Erziehung, die es abgesehen hatte "Auf eine neue Welt, in der man nicht von vornherein verurteilt ist, die gewohnte Welt mitzuma chen",
oder CAMUS´ Dr. Rieux, der nicht müde wird, selbst ohne Aussicht auf Erfolg gegen die "Pest" anzukämpfen... In dieser Vertreibung aus dem Paradies wird der Tod zur "Grenzsituation" des Lebens schlechthin, das hineinverstrickt ist in den mit "Schuld" und "Leid" gezeichneten "Daseinskampf", Grenzsituationen, "die wie eine Wand sind, an die wir stoßen, an der wir scheitern" (K. JASPERS, Philosophie II, 203). Die "metaphysische Angst", nicht zur "Existenz" zu werden, weil der Bezug zur "Transzendenz" ausbleiben kann, ist "der Schrecken eines endlosen Lebens ohne Möglichkeit, ohne Wirken und Mitteilen. Ich bin gestorben und muß ewig so leben; ich lebe nicht und leide als mögliche Existenz die Qual des Nichtsterbenkönnens" (a.a.O. II, 227).
Auch auf der rechten Wandseite nehmen die Chiffren den Betrachter in ein "halbiertes Gespräch": die Zeit als Erstreckung des Herzens, aber auch als Lebenszeit, die Tränen, als sollte der Tränengrund aller Dinge beschworen werden-, wie dies einstens VERGIL mit seiner schier unübersetzbaren "sunt lacrimae rerum" es tat: alle Dinge haben ihre Tränen, (aber es ist der Mensch, der sie weint)! Eine Leiter verschlüsselt wiederum einen anderen Gedanken. Es kommt einem in den Sinn, daß dort, wo der Tod als letzte Sinnerfüllung des Lebens betrachtet wird, als dessen ausreifen und "Gebären", er seine Härte verliert, ja zu meinem je eigenen Tod wird.
R.M. RILKE schreibt:
"Mach einen herrlich, Herr, mach
einen groß...
Und eine Nacht gib, daß der
Mensch empfinge,
Was keines Menschen Tiefe noch
betrat...
Und gib ihm eines langen Tragens
Zeit...
Und also heiß ihn seiner Stunde
warten,
da er den Tod gebären wird..."
An dieser rechten Wandseite sind auch zwei altägyptische Symbole als zeitlos-gegenwärtige Sinndimension angedeutet, die Waage und das Herz des Menschen. Im Totengericht des ägyptischen Jenseitsglaubens wurde das Herz des Verstorbenen gegen "Maat" abgewogen, - einem Begriff, der mit Wahrheit, Gerechtigkeit, Ordnung und Sinn zu umschreiben ist. Über dem Menschenleben stand das Wort: "Tu die Maat, sage die Maat". Damit gewinnt der Mensch Anteil an der Unvergänglichkeit des Vollkommenen. Ihre Ordnung fügt die Menschenherzen zusammen zu einem schwingenden, lebenden, sich formenden und sich in ihm wieder ausgebenden Rhythmus und Einklang. Im Diskurs des Lebens ist sie eine Disziplin der Ewigkeit, die im Neuen Testament in der Liebesweisung Jesu ihre Überhöhung und Radikalisierung erfährt. Ubi amor, ibi occulus: wo Liebe ist, tut sich eine neue Sehweise auf. Nach der Erkenntnismetaphysik Sankt AUGUSTINUS erkennt der Mensch etwas in dem Maße, als er sich diesem liebend öffnet. In die Farbflä chen hat Armin GUERINO
mehrere "Augen"(-Blicke) verfremdend hingemalt, als wollte damit die Ahnung ausgedrückt werden, zu der sich "Romeo und Julia" bekennen: "O love! O live! Not live but love in death", eine Ahnung, die der Liebe als äußerstem Vermögen die Verwandlung in eine Lebenskraft zubilligt. Aber auch die andere Seite ist gegenwärtig. Wie bitter klingen die Verse, in denen der Mangel an Liebe mit den Worten beklagt wird:
"Nicht ist die Liebe gelernt,
und was im Tod uns entfernt,
ist nicht entschleiert"
(R.M. RILKE, Sonette an Orpheus).
Wer innerhalb der verrinnenden Zeit nicht gelernt hat dies zu tun, wird ratlos vor der Frage stehen, die ihn darin vor dem Tod entfernt. Auch der Psalmist kennt dieses Problem, wenn er betet: "Lehre uns unsere Tage zu zählen, daß wir zur Weisheit des Herzens gelangen" (Ps 89,12). In solcher Wegweisung lernt einer den Tod nicht nur zu verstehen, sondern als die letzte Tat seines Lebens zu bestehen.
Anker der Hoffnung
Blickt man vom Friedhofstor die Achse entlang, so steht am Ende dieses "decumanus" das Kreuz als Zeichen der Hoffnung und der siegreichen Liebe aufgepflanzt. Tomas HOKE hat es mit dem Sonnensymbol gekrönt, das assoziativ an das Anch-, das Lebenszeichen der koptischen Christen denken läßt. Es ist wie eine Zusammenfassung der hoffenden Zuversicht des Apostels Paulus: "Christus ist mein Leben, und Sterben ist mein Gewinn", denn er weiß, daß dort, wo die Liebe stärker ist als das Leben, sie auch stärker ist als der Tod. Er weiß sich in solchem Glauben von der Sonne angeleuchtet, die keinen Untergang mehr kennt. Man kann auch an das Jesuswort im Johannesevangelium denken: "Ich bin das Licht der Welt" (Joh 8,12), aber auch an jene fundamentale Sicht, daß der Glaubende bereits im Leben einen "absoluten" Schritt getan hat aus der Todessphäre in die Lebenssphäre (vgl. Joh 5,24: "Wer mein Wort hört und dem glaubt, der mich gesandt hat, der hat ewiges Leben und kommt nicht ins Gericht, sondern ist aus dem Tode ins
Leben hinübergegangen"). Hat der Glaubende den irdischen Tod noch vor sich, so hat er das, was den Namen wirklich verdient, das Fallen in Sinnlose, schon längst hinter sich... Diese von Armin GUERINO und Tomas HOKE gestaltete Friedhofsanlage hat die Kraft, einen in letzte Gedanken zu verstricken.